Sibyllen am Himmel

Meine gestrigen Kopfschmerzen sind zum Glück am Morgen verschwunden und nach einem großartigen Frühstück – die Tschechen verstehen sich aufs Frühstück machen in ihren Ferienlagern – starte ich frohgemut gegen 9 Uhr. Es ist Tag 13 meiner Tour. Mein Ziel ist eine Herberge, an der ich letztes Jahr vorbeigekommen war und die mitten im Novohradské Hory liegt, einem Bergland im Grenzgebiet zu Österreich. Diesmal möchte ich gerne dort übernachten. 

Die Route führt durch den Wald und es ist mit 22 Grad morgendlich frisch. Ein grosses blaues Kreuz steht plötzlich links im Wald, später kommt ein rotes auf der anderen Seite. Wenn noch ein weißes käme (was nicht kommt), wären die tschechischen Farben beisammen. Ein Reh geht weiter vorne über den Weg. Alles fühlt sich heute gemächlich und im Lot an. Es ist Sonntag. Wenig später entdecke ich gebückt stehende Menschen im Wald und da erst erkenne ich, dass der ganze Waldboden mit Heidelbeerbüschen bedeckt ist. Die Sammler sind sehr professionell mit Beerenkämmen ausgestattet. Etwas später in einem kleinen Ort mit hübsch herausgeputzten Häusern ist in einem Garten eine Familie unter einem Kirschbaum mit Leitern und Eimern versammelt. Es ist Obst-Erntezeit.

Immer wieder weht mir auf der Fahrt köstlicher Lindenduft um die Nase. Die Linden, die hier häufig die Straßen säumen, stehen in voller Blüte. Als ich die Kleinstadt Nové Hardy erreiche, komme ich in die Gegend meiner letztjährigen Tour. Den Ort hatte ich damals ausgespart und natürlich finde ich auch hier am Hauptplatz ein kleines Café und lasse mich dort nieder, um die Atmosphäre des Ortes aufzunehmen. Dieses Café hat eine kleine exquisite Kuchenauswahl und ich entscheide mich für ein Schokoladentörtchen zum Cappuccino. Dann geht’s nach einer kurzen Besichtigungsrunde durch den Ort (Burg und alte Schmiede von außen) weiter.

Am Hang, auf den ich zufahre, zeichnet sich ein großes helles Gebäude ab. Sollte das die Wallfahrtskirche sein, in der ich letztes Jahr war. Je näher ich dem Berghang komme, umso sicherer bin ich. Das ist die Kirche mit dem schönen Himmel in der Kuppel. Was für ein Zufall, dass sich ausgerechnet dort mein Weg von letztem und diesem Jahr trifft. Damals war ich dort vom regulären Eurovelo 13 abgebogen, um zu einer Unterkunft auf der österreichischen Seite zu fahren. 

Als ich in Dobrá Voda ankomme, gehe ich natürlich wie letztes Jahr in die Wallfahrtskirche Maria Trost. Das muss jetzt schon sein! Sie ist zwar sehr Barock und golden, aber sie hat, wie gesagt, diesen schönen Himmel. Und unter diesen setze ich mich wieder in die Kirchenbank und schaue hoch. Und siehe da. Als ich dieses Mal hoch blicke, entdeckte ich in den Ecken, die den Himmel umrahmen, Frauen. Wie ungewöhnlich, sonst sind da doch in der Regel heilige Männer als stützendes Beiwerk. Und als ich genauer hinschaue, entdecke ich: Es sind Sibyllen! Na sowas! Acht von ihnen, je zwei an jeder Ecke. Die hatte ich letztes Jahr nicht gesehen. Eine kleine Gänsehaut überläuft mich. „Das hat ja schon was Mystisches“, denke ich. „Das kann kein Zufall sein.“ Ich sollte offenbar noch mal hierher kommen. Ganz ehrfürchtig sitze ich nach diesem Sibyllentreff noch eine Weile in der Kirchenbank.

Dann mache ich mich wieder auf den Weg zu meinem Rad. Das steht vor der Kirche und neben ihm hat noch eine andere Radlerin geparkt, die geschäftig mit ihrer Wasserflasche hantiert. Ob ich mir schon was vom Heilwasser in meine Flasche abgefüllt hätte, fragt sie mich mit österreichischem Akzent und stellt sich vor: „Ich bin die Aloisia!“ „Sibylle“, antworte ich und frage mich, wer im Himmel mir jetzt diese resolute Erscheinung geschickt hat. Heilwasser! Das erklärt, warum mehrere Menschen gerade vor den zwei Brunnen unterhalb des Treppenaufgangs zur Kirche Schlange stehen. Das hatte ich noch völlig in Gedanken versunken gerade beim Vorbeilaufen mit halbem Auge bemerkt. „Dobrá Voda (der Name des Ortes) heißt doch auf deutsch ‚Gutes Wasser'“, klärt mich Aloisia auf. „Und in Österreich heißt der Ort Brünnl.“ Also hole ich meine Wasserflasche und gehe zu den Brunnen. Wo ich denn hinführe, will Aloisia nach meiner Rückkehr wissen. Nach Žofín sage ich. Da müsse sie auch hin, da könnten wir doch zusammenfahren. Sie käme vom Schramml-Fest in Litschau, plaudert sie munter weiter, wobei ihr Ton mir klarmacht, dass es sich offenbar um ein bekanntes Fest handelt. Ich nicke und schweige, um mir keine weitere Blöße zu geben. Immerhin kenne ich Litschau, da bin ich gestern dran vorbeigefahren.

Innerlich schmunzelte ich vor mich hin. Ihr Name lässt mich an den „Münchner im Himmel“ von Ludwig Thoma denken. Meine Eltern hatte eine Schallplatte mit dem Stück. Alois heißt die Hauptfigur, die sich als Engel Aloisius im Himmel so daneben benimmt, dass der liebe Gott ihn wieder auf die Erde zurückschickt. Mal sehen, welchen Auftrag Aloisia hat.

Also mache ich mich mit ihr auf den Weg. Sie fährt flotter als ich, wobei ich sie ein paar Jahre älter als mich schätze. Aber da vertut man sich ja leicht. Jedenfalls kennt sie sich aus. Sie kommt aus Freistadt, was kurz hinter der Grenze nach Österreich liegt. Für 16 Uhr ist ein Gewitter angesagt und sie will bis dahin zuhause sein. Ich bin eher besorgt, dass es in Žofín keinen Schlafplatz für mich gibt. „Das passt schon“, beruhigt mich Aloisa. Und wie sie das sagt, glaub ich es ihr sofort. Doch jetzt gilt es erst mal die Baustelle zu überwinden, die sich vor uns auftut. Ein riesiger Bauzaun versperrt den Weg. Dahinter klafft ein straßenbreites, tiefes und zehn Meter langes Loch in der Straße. Doch heute sorgt der Himmel für mich und lässt eine junge Radlerin von der anderen Seite des Bauzauns auf uns zukommen.  „An der rechten Seite geht’s mit Schieben“, sagt sie. „Da ist es nicht so steil.“ Gesagt getan. Aloisia stellt sich auch hier geschickter an. Ich habe wieder mal Probleme mit dem Schiebegang, der bei dem bröckelnden Lehm-Steingemisch und dem Anstieg von Nöten ist, aber nicht anspringen will. Irgendwann tut er’s dann doch. Und ich kann Aloisias „Brauchst Hilfe?“ dankend ablehnen.

Wenig später halten wir vor der Pension Žofín an. Das heißt: Aloisia wartet dort auf mich. „Pfiat di God“, sagt sie noch schnell zu mir und schon ist sie weg. Dabei hätte ich doch zu gern noch gewußt, was ein Schrammlfest ist. Aloisias Worte „Das passt schon“ im Kopf erklimme ich zuversichtlich die Stufen zur Herberge. Doch leider passt es nicht. Die Pension ist ausgebucht. „Na, deinen himmlischen Auftrag hast du nicht erfüllt, Aloisia“, denke ich. Da gibt es noch Luft nach oben in der Engelhierarchie. Also weiter auf Sibyllenart. Die nächste freie Unterkunft, die ich bei Booking.com entdecke ist nur 10 km entfernt. Auf geht’s.

Auch das Gewitter hat ein Einsehen mit meiner Verspätung und verschiebt seinen Ausbruch. Noch im Sonnenschein erreiche ich ein frisch renoviertes, schmuckes Anwesen, dessen herrschaftliche Tür verschlossen ist. Doch schon kommt eine Frau herbeigeeilt. Ihr Mann spräche Deutsch und käme gleich, gibt sie mir zu Verstehen. Und das tut er – mit Herzblut: Über sein Haus. Es ist sein ganzer Stolz. Schon als Kind hat er vor dem Gebäude gespielt, in dem seine Mutter damals arbeitete. Seit der Zeit war es ein Traum von ihm, einmal dort zu wohnen, erfahre ich. Ursprünglich war das Anfang des 20. Jahrhunderts gebaute Gebäude ein Armenhaus, dass 10 Familien Platz bot. 2017 – hundert Jahre später – konnte er das mittlerweile völlig heruntergekommene Haus erwerben und hat es mittlerweile in ein luxuriös anmutendes Anwesen verwandelt. Hinterm Haus gibt es eine Parkanlage mit Pavillon und Brunnen. Auf dieselbe schaue ich vom Balkon meines großzügigen Zimmers, auf dem ich Platz genommen habe und frohgemut auf den sich zuziehenden Himmel schaue. Auch das Abendessen ist gesichert. Die Schwägerin wird etwas für mich kochen. Als ich pünktlich um 19 Uhr erscheine, haben sich noch zwei weitere Reisende am Tisch eingefunden. Es sind zwei Frauen aus Prag, die auf dem tschechischen Grenzwanderweg unterwegs sind und hier ebenfalls vor dem Gewitter Unterschlupf gesucht haben. Auch sie wollten eigentlich in Žofín übernachten und waren dort ebenfalls abgewiesen worden. Froh, dass wir es hier so gut getroffen haben und jetzt gemütlich beim Essen zusammensitzen, entspinnt sich ein munteres Gespräch zwischen uns. Martina spricht zwar deutsch, zieht es aber vor englisch mit mir zu sprechen. Sie fürchtet zu viele Fehler im Deutschen zu machen. Eva spricht weder noch, doch Martina dolmetscht bereitwillig, während wir hungrig zarte Hähnchenschnitzel mit Kartoffeln vertilgen. Zum zweiten Glas Wein gesellt sich Honza, der Wirt, mit seiner Frau zu uns und jetzt geht es vergnügt dreisprachig weiter. Honza und Martina übersetzen abwechselnd für mich. Am Ende kennen wir die Liebesgeschichte des Ehepaars und das lange Werben Honzas um das Haus. Noch auf der Baustelle – die Renovierung des großen Hauses war fertig, aber die Wirtschaftsgebäude noch nicht – hätten sie damals geheiratet. Das war quasi die Initialzündung, denn als Hochzeits-Location ist die ‚Penzion Pod Krásnou horou‘ mittlerweile äußerst beliebt.
 

Ganz beseelt machen wir drei uns dann auf den Weg in unsere Zimmer, den Satz von Honza noch im Ohr: So Gäste wie uns, hätte er am Liebsten! Beim Abschied sind wir uns auch ganz einig. Solche Wirtsleute und solche gemeinschaftlich verbrachten Abende sind etwas ganz besonderes: Sternstunden am Reisehimmel.

Von meinem Balkon werfe ich noch einen Blick in die Nacht. Sie ist dunkel hier mitten im Bergland unter der tiefhängenden Wolkendecke. Doch vor meinem inneren Auge reißt noch einmal der Barockhimmel auf und wirft sein Licht auf die unter ihm sitzende Sibylle. Am Bett steht meine kleine Flasche mit dem ‚guten Wasser‘ aus Dobrá Voda. Noch ein Schlückchen und dann „Gute Nacht – Dobrou noc“.

Wieder auf dem Iron Curtain Trail

Ich starte um kurz vor 8 Uhr. Und denke, als ich auf den Hochdeich bei Zahorska Vez fahre: „Wie herrlich. So früh sollte ich es immer schaffen.“ 

Ein frischer, kühler Wind umfängt mich und ich genieße das Radeln. Es fühlt sich an, wie wieder angekommen. Ich auf ‚meinem‘ Iron Curtain Trail, dem Eurovelo 13. Ein großer Mäher fährt am Deichsaum entlang. Der Mann auf ihm winkt mir zu. Und dann ruft auch noch ein Kuckuck und heißt mich willkommen. Dabei ist es schon der vierte Tag meiner diesjährigen großen Radtour. Es braucht halt etwas, bis man richtig angekommen ist.

Die Strecke ist perfekt ausgeschildert und im nächsten Ort Suchohrad lässt mich ein großer roter Stern aus Beton am Wegrand anhalten.

Neugierig studiere ich die Infotafel, auf der verblasste Fotografien Schäferhunde zeigen. Offensichtlich wird hier an die tschechischen Grenzschutzhunde erinnert, die von 1955 bis 1990 im Einsatz waren. Ein ungewöhnliches Denkmal, um es vorsichtig auszudrücken. Nur 20 Meter weiter schaut ein Giraffenkopf über die Hecke. Auch ungewöhnlich, aber er lässt mich schmunzeln. Natürlich ist die Giraffe nicht echt, sondern aus LKW-Reifen. Kurzerhand erkläre ich den Tag zum Tag der Tierbegegnungen. 

Und prompt flattern um die nächste Ecke auf einem schattigen Waldweg Buchfinken tirilierend um mich herum. Weiter geht der Weg durch Rübenfelder, die bis an den Horizont reichen. In ihnen leben Hasen, die auch wenig Scheu zeigen und immer wieder hoppelt einer vor mir den Weg entlang. Als ich einmal bremse und anhalte, stoppt auch der Hase und fängt an, sich die Hinterpfote mit der Schnauze zu reinigen. Er rupft sichtlich an der Pfote. Da hat sich wohl was festgesetzt.

Wenig später tauchen am Horizont die kleinen Karpaten auf. Zartblau. Ich lasse innerlich einen kleinen glücklichen Seufzer los. „So schön, unterwegs zu sein.“ Und während ich weiter durch Rüben und Kürbisfelder in den March-Auen radele, philosophiere ich ein bisschen mit mir über den Unterschied zwischen Urlaub und Reisen. Ich komme zu dem Schluß, dass Reisen im Sinne von Unterwegs sein, ein wichtiger Teil meines Lebens ist. Ein Teil, in dem ich mich ganz bei mir fühle. So ging es mir schon im Beruf. Am schönsten war es, „draußen“ bei den Kunden zu sein. Besuchsrouten zu planen. Jetzt sind es Fahrradrouten.

Kleine Bunker tauchen neben dem Deich auf. Sie sind gut erhalten. In den Dreißiger Jahren wurden sie nach dem „Anschluß“ Österreichs von den Tschechen nach dem Vorbild der französischen Maginot-Linie gebaut.  Sie kamen nie zum Einsatz und ihr Bau wurde nach dem Münchner Abkommen 1939 eingestellt. Seitdem stehen sie geduckt wie kleine Mahnwachen an unheilvolle Zeiten hier herum. 

Als ich gegen Mittag von der Slowakei nach Österreich hinüberfahre, habe ich auf der Brücke über den Grenzfluss March die nächste Tierbegegnung. Allerdings in einer übertragenen Weise oder genauer in einer überragenden. Große quadratische Netze hängen hoch vor kleinen Holzhütten entlang des österreichischen Flußufers. Die Szenerie wirkt, als wäre ich in ein anderes Jahrhundert geraten oder in ein fernes Land. Und in der Tat so ist es. Hier an der March darf nach einem Dekret von Kaiserin Maria Theresia, das bis heute gilt, mit sogenannten Daubelnetzen gefischt werden. Willkommen in der k.u.k. Monarchie. 

Mit Daubelnetzen – so lese ich bei meiner Mittagsrast vor dem March-Thaya-Zentrum in Hohenau nach – werden Zander, Wels, Karpfen, Hecht, Tolstolob und Amur gefischt. Letztere sind mir ebenfalls unbekannt und lassen mich eher an einen russischen Dichter und einen römischen Liebesgott denken. Dabei handelt es sich, wie ich weiter lese, bei beiden um Riesenkarpfen, die eine Länge bis zu 1,30 m bzw. 1,50 m erreichen können. Allerhand, da werden sich die Daubelnetze ganz schon biegen – oder „daubeln“ wie ich wortspielend vor mich hin denke.

Aus der k.u.k. Monarchie werde ich an dem hinter der Marchbrücke liegenden Grenzübergang abrupt ins hier und jetzt befördert. Der blaue Wohn-Container am Straßenrand ist eine improvisierte Grenzstation, die aber heute nicht besetzt ist. Wie lange werden die vor 35 Jahren mühsam geöffneten Grenzen noch so offen sein, wie sie es jetzt sind? Ich hoffe, noch lange und dass wir als EU das hinkriegen.

Aus diesen Gedanken holt mich wieder das Tierleben ab. Eindeutig ein Amphibienzaun, der da die Straße hinter dem Grenzcontainer säumt. Auch eine Grenzerfahrung für Kröten und Frösche, denke ich, aber immerhin gibt es alle ca. 20 Meter einen Durchlass auf die andere Seite. Am Ende der Straße steht ein Aussichtsturm. Natürlich klettere ich rauf, immer gut einen Blick von oben zu haben. Die Botschaft, die mir dort auf einer Infotafel präsentiert wird, ist auf den Punkt: „Wer Störche liebt, muss Frösche schützen.“ Wie sich der Satz auf unsere Grenzproblematik übertragen ließe, wäre ein trefflicher Diskussionsstoff.

Am Nachmittag, inzwischen bin ich schon in Tschechien, dem dritten Land des heutigen Tages, holt mich die harte Fahrrad-Realität ein: Der Akku ist am Ende. Gefesselt von all den Ausblicken und Gedankenspielen hatte ich ganz vergessen auf den Batteriestand zu achten. Als ich mit den letzten Bits in der untersten Unterstützungsstufe die nächste Hügelkuppe erreiche, erspähe ich mit einem erleichterten Seufzer ein modernes großes Gebäude. Ein Weingut wie sich nach 200 Metern herausstellt. Doch das große Tor ist zu. Enttäuscht fahre ich weiter und siehe da, hinter der Kurve gibt es ein offenes Gittertor, durch das ich beherzt auf das Gelände einbiege. Ich lande unterhalb des Gebäudes und entere den Werkshof. Dort stehen zwei Männer und schauen mich an. Ich stoppe vor ihnen, zeige auf meinen Akku und schaue sie hilfesuchend an. „Kaputt?“ fragt der eine. „Nein, nein“ antworte ich. „Nur Strom“ und mache eine Handbewegung als würde ich einen Stecker in eine imaginäre Steckdose stecken. „Chef nicht da“, sagt er dann. Na klar, das Tor war ja auch zu! Mit den Händen signalisiere ich 20 Minuten. 2 x zwei Hände und schaue dabei flehentlich. Angesichts meines Gesichtsausdrucks erbarmt sich der eine. Ich darf das Rad in die Halle schieben und er zeigt mir die Steckdose. Erleichtert lasse ich mich im Schatten vor der Halle auf den Boden sinken und lehne mich an die Betonwand. Es sind 34 Grad. Die Männer verschwinden im Hauptgebäude. Nach einer Weile kommt der eine zurück. In der Hand trägt er ein beschlagenes Weinglas, mit etwas hellrotem, perlenden drin und reicht es mir nach unten. „No Alkohol“ sagt er verschmitzt lächelnd. Ich bin ganz gerührt und schäme mich, weil mir so plötzlich nicht einfällt, was danke auf tschechisch heißt. Es schmeckt kalt und süß und köstlich.

Nach 20 Minuten kommt er wieder und wir gehen zu meinem Rad. Die mageren zwei leuchtenden Lichter auf meinem Akku, wobei das zweite von fünf erst zuckt, sehen nicht nach einer ausreichenden Ladung aus und ich schüttele zweifelnd den Kopf, um noch etwas Zeit zu gewinnen. „Bissi Deutsch“ sagt er, Gesprächsbereitschaft signalisierend. Offenbar hat er meine Bedenken verstanden. Er habe früher in Österreich gearbeitet, verstehe ich, aber jetzt seit 10 Jahren hier im Weingut und nix mehr Deutsch. Wo ich heute hinwolle. „Zu Marko“ sage ich, noch 10 km und „bissi bergauf“, wobei ich mit der Hand Hügel skizziere. Er nickt. Marko kennt er. „Gutes Essen!“ sagt er. Fünf Minuten später erlöse ich ihn, denn mir dämmert, dass er längst Feierabend hat. Hoffentlich komme ich mit der Ladung bis zu Marko. Zum Abschied reiche ihm die Hand, die er kräftig drückt.Děkuju“, sage ich. Danke. Das Wort war mir mittlerweile wieder eingefallen.

Das sind die Erlebnisse, die mich immer wieder bei meinem Reisen überwältigen. Wenn mir unerwartet jemand etwas Gutes tut. So wie dieser Mann, der mir in der Hitze ein Glas mit etwas köstlich Kaltem brachte.  

Die Akku-Ladung reicht übrigens gerade so. Und das Abendessen bei Marko ist wirklich köstlich. Ach ja: Zum guten Schluß meines Radeltags kreuzen noch zwei Rehe meinen Weg und springen durch das Weizenfeld neben der Straße. Sehr elegant sehen sie dabei aus, während ich den sanften Hügel neben dem Feld Richtung Marko hinabsause.