Von Tieren und Menschenarten
Apropos Vogelbeobachtungsstationen. Im Nationalpark Unteres Odertal liegt eine direkt auf dem Deich. Seeschwalbe heißt sie. In der Tür steht ein junger Mann. Gerade war er noch mit seinem Moped an mir vorbeigezogen. Ich halte an und steige vom Rad. Für einen Vogelbeobachter hat er wenig große Objektive an sich hängen. Genau genommen nicht eines. Auch keine Kamera.
„Kommen Sie her, um Vögel zu beobachten“, starte ich meinen Plauderversuch. „Nein“, sagt. „Ist aber schön hier“, knüpft er bereitwillig an mein Konversationsangebot an. „Und windstill hier drin“, setze ich fort. Dann schauen wir beide durch die Luken ins Poldergebiet und auf die Wasserstelle, die vor der Beobachtungsstation liegt.
Jede Menge Schwäne sind darauf, ein weißer Fleck neben dem anderen. „Schwäne“, sage ich. „Ja“, sagt er und nach einer Weile: „Viele.“ Dann lachen wir beide. „Kennen Sie sich aus?“ versuche ich es weiter. Da erbarmt er sich und sagt sacht den Kopf schüttelnd: „Ich bin Angler.“
Er outet sich damit als die zweite Sorte menschlicher Spezies, der ich hier in den Oderauen begegne. Entweder Vogelbeobachter oder Angler. Was er denn hier so angele, steige ich auf den Themenwechsel ein. Bei einem Altersunterschied von schätzungsweise 30 Jahren habe ich keine Bedenken, dass er mich falsch verstehen könnte. „Hecht!“, kommt die prompte Antwort. „Aber zur Zeit nicht“, schiebt er nach. Das erklärt, warum er kein Angelzeug dabei hat, denke ich. „Was ist mit den Hechten“, frage ich, froh endlich ein Gesprächsthema gefunden zu haben. „Sie haben doch von dem Fischsterben im letzten Jahr in der Oder gehört“, erklärt er. Das Wasser mit den giftigen Algen sei nun auch in den Poldern und in den Kanälen. „So schnell fließt das hier doch nicht ab“, meint er und dass er deshalb dieses Jahr noch nicht wieder angele. Ich will dann noch wissen, wie Hecht schmeckt und ob er ihn selbst zubereitet. So zwischen Zander und Karpfen läge sein Geschmack, meint er und klar, bereite er ihn selbst zu. Dann geht uns allmählich der Gesprächsstoff aus.
Wie er mit Vornamen heißt, will ich zum Abschied wissen. „Lars“, sagt er. „Und Sie?“ „Sibylle“. „Und was machen Sie heute noch mit dem Tag“, frage ich. „Den Gott einen lieben Mann sein lassen?“, meint er die Achseln zuckend. „Gute Idee“, pflichte ich ihm bei, steige aufs Rad und fahre los. Stoppe wieder und drehe mich um. „Darf ich noch ein Foto machen?“, frage ich. Ich darf und als ich mit den Worten „Tschüss Lars“, wieder aufs Rad steige, ruft er mir hinterher. „Schönen Tag noch, Sibylle.“
Gegen Abend treffe ich dann auf einen der ersteren Spezies, einen Vogelfotograf, deutlich erkennbar an den großen Objektiven, die an ihm herabhängen. Ein Vogel zwitschert laut im Röhricht. „Kennen Sie den?“, höre ich mich fragen. „Nein!“, sagt er, dreht sich abrupt um und stapft entschlossen von mir weg. Aah, dämmert es mir. Die dritte Spezies: Ein Tourist. Wär er von hier, er hätte mir geantwortet. Egal ob Vogelkundler oder Angler.
Was der objektivschwere Tourist nicht ahnt. Ich weiß, wer da singt: Es handelt sich um einen Drosselrohrsänger, im Volksmund als Rohrspatz bekannt. Das vermeintliche Geschimpfe kenne ich vom Abend auf dem Steg. Sein ausdauerndes ‚Trr trr karra-karra-karra krie krie‘ habe ich sofort erkannt. Tja, mein Lieber! Manche Fragen sind eben Fangfragen, um die Spezies zu enttarnen. Denn schließlich kenn ich mich mittlerweile auch ein bisschen aus.
Der Lars der fängt den Hecht, in echt, mann muss nicht ein selbiger sein um ihn zu angeln.